Anne-Lise über das Scheren von Schafen, Tierwohl, Wollqualitäten und darüber, als Frau in diesem Bereich zu arbeiten

Anne-Lise - Schafschererin aus Norwegen

Ich bin eine 31-jährige Norwegerin und lebe auf einer Milch- und Schaffarm an der Küste außerhalb von Trondheim in Mittel-Norwegen. Ich habe einen Master in Biologie und eine Ausbildung zur Lehrerin. Ich habe auch eine Zeit lang als Lehrerin gearbeitet. Aktuell bewirtschafte ich einen Bauernhof in Vollzeit und ich verdiene mir ein Zusatzeinkommen durch die Schafschur. Mein Name ist Anne-Lise.

 

Wie bist du auf das Thema Wolle und zum Scheren gekommen?

Ich hatte bis ich 18 Jahre alt war rein gar nichts mit Schafen zu tun. Mein damaliger Freund war Schafzüchter und so begann ich mit Schafen zu arbeiten. Wir trennten uns, aber ein paar Jahre später besuchte meine Schwester eine landwirtschaftliche Schule, wo sie einen Schafschurkurs hatten. Sie überredete mich, mitzumachen, da ich an diesen 3 Nachmittagen nichts anderes geplant hatte. Es hat sehr viel Spaß gemacht! Sehr schwierig und herausfordernd, aber lustig! Und nach ein paar Scherkursen habe ich im Herbst 2014 angefangen, auf Farmen zu scheren. In diesem Jahr bin ich auch zum ersten Mal bei den Norwegischen Meistern in der Juniorenklasse angetreten. Um bis ganz nach vorne zu kommen, war ich zu aber zu nervös, aber es hat immerhin zum Halbfinale gereicht. Es war eine super Erfahrung!

 

Einige Zahlen und Fakten zu Deinem Job

Ich habe Schafe in 9 verschiedenen Ländern geschoren. Das meiste, was ich an einem Tag geschoren habe, sind 370 Schafe (9,5 Std.). An einem normalen Schurtag in Norwegen schere ich zwischen 150 und 200 Schafen und es dauert ca. 1,5-2,5 Minuten, um ein Schaf zu scheren. In einem Wettkampf schere ich normalerweise ein Schaf in 1-1,5 Minuten. Meine schnellste Zeit waren 30 Sekunden. Ein norwegisches Schaf hat normalerweise etwa 2,5 kg Wolle und ein Lamm etwa 1 kg. Wir scheren die Schafe 2 x im Jahr, bevor sie im Herbst eingestallt werden und im Frühjahr vor dem Lammen.

Wie sieht dein Jahresablauf aus?

In Norwegen schere ich im Februar/März vor dem Lammen und von September bis November, bevor die Schafe eingestallt werden. Im Juli schere ich die älteren Schafe, die man nur einmal jährlich schert. Im Frühjahr/Sommer reise ich auch nach Großbritannien, um an Wettkämpfen teilzunehmen.
Wenn ich nicht schere, betreibe ich meinen Hof zu Hause.


Was ist beim Schervorgang wichtig, um eine gute Wollqualität zu gewährleisten?

Wichtig für den Scherer sind ein sauberes Schaf und saubere Arbeitsbedingungen. Gutes Scheren bedeutet, keine zweiten Schnitte zu machen oder die Wolle in viele Stücke zu zerschneiden. Die Herausforderung besteht darin, die Schafe ruhig zu halten und die Wolle in die verschiedenen Qualitäten zu sortieren.


Was ist das Beste und was ist das Schwierigste an dem Job?

Das Beste: Man kann immer besser werden, leistet einen wichtigen Beitrag für den Tierschutz und hilft dankbaren Landwirten. Ich treffe viele tolle Leute, sowohl Kollegen als auch Schafbauern, und man sieht viele tolle Orte!

Das Schlimmste: Ein sehr harter, körperlicher Job, der auch psychisch hart ist, weil man mit Schmerzen und teilweise schlechten Arbeitsbedingungen, langen Tagen, etc. fertig werden muss. Als Frau muss man sich auch einigen Vorurteilen stellen, aber zum Glück konnte ich die in den letzten Jahren ausräumen.
Außerdem ist es schwierig mit den Menschen umzugehen, die glauben, dass ich dem Tier gegenüber grausam bin, obwohl ich dem Tier durch die Schur tatsächlich helfe. Wir Scherer tun unser Möglichstes, um die Prozedur für die Schafe so reibungslos und sanft wie möglich zu gestalten.

 

Wofür steht Wolle aus deiner Sicht?

Wolle ist Qualität, Wolle ist Natur, Wolle ist erneuerbar, Wolle ist vielseitig, Wolle ist wärmend und kühlend, Wolle ist schön, Wolle ist stark, Wolle ist flexibel. Wolle ist eine echte Superfaser.

Scheren als Wettbewerb - worum geht es?

Kurzum: Qualität + Zeit. Es geht darum, die niedrigste Punktzahl zu haben.
Die Jury bewertet die Qualität des Vlieses und ob wir es an einem Stück vom Schaf bekommen. Falls wir die Wolle in mehreren Stücken abschneiden, bekommen wir einen Strafpunkt. Außerdem begutachtet die Jury die geschorenen Schafe hinter der Bühne. Bleiben Wollfähnchen oder Wollkämme übrig, bekommen wir weitere Fehlerpunkte. Außerdem geht die Schur auf Zeit. Die Gesamtpunktzahl stellt sich aus 2 Qualitätsbewertungen und die Zeit zusammen. Es ist wichtig, effizient zu scheren, damit sich die Schafe wohl fühlen und nicht ungeduldig werden. Wir stellen sicher, dass die Anfänger eine gute Qualität und Technik haben, bevor sie sich auf die Geschwindigkeit konzentrieren.


Tierschutz und Scheren – was gibt es dabei zu beachten?

Wenn sich die Schafe wohlfühlen, macht das die Arbeit für uns beide leicht. Die Schur ist ein notwendiger Prozess, da die modernen Schafe ihre Wolle nicht verlieren, aber wenn ein Scherer sein Handwerk versteht, ist das sehr effizient und schonend für die Schafe. Viel schneller als ein menschlicher Haarschnitt. Das Scheren ähnelt einem Tanz. Wenn ich auf der Tanzfläche bin, möchte ich einen Tanzpartner, der mich nicht verliert oder sich wegdreht, sondern Unterstützung bietet und mich immer im richtigen Moment festhält. Dann fühle ich mich sicher und der Tanz macht Spaß. Ich versuche, für die Schafe der gleiche „Tanzpartner“ zu sein, indem ich Unterstützung biete, damit sich die Schafe sicher und wohl fühlen. Und wenn ich das tue, bewegen sich die Schafe nicht und genießen die Schur. Sie springen sogar manchmal vor Freude, wenn sie ihren schweren Wollmantel verlieren.